„Wir sind als Land zusammengewachsen“ 

Rede im Bundestag  „Wir sind als Land zusammengewachsen“ 

Staatsministerin Elisabeth Kaiser spricht im Deutschen Bundestag am 10.10.2025 in zum Antrag „35 Jahre Deutsche Einheit – Freiheit in Deutschland und Europa festigen“.

Staatsministerin Elisabeth Kaiser

Staatsministerin Elisabeth Kaiser

Foto: Photothek/Leon Kügeler

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 

Eins vorab: Dass Sie, Herr Dr. Frömming, unseren Rechtsstaat mit der DDR-Diktatur hier vergleichen, das halte ich für infam und nicht für angemessen in diesem Saal. 
Ich stehe noch unter dem Eindruck des Bürgerfests zum Tag der Deutschen Einheit in Saarbrücken, wo ich und mein Team an unserem Infostand ganz tolle und motivierende Ost-West-Gespräche geführt haben, zum Beispiel mit zwei älteren Frauen – die eine gebürtig aus dem Osten, die andere aus dem Westen, jetzt sind sie Nachbarinnen –, die gemeinsam zu dem Fest gegangen sind, um diesen großen Moment deutscher Geschichte gemeinsam zu begehen, oder mit dem jungen Mann, der aus einer sogenannten Ost-West-Familie stammt und erzählte, dass seine Mutter in den 90er-Jahren aus Chemnitz in den Westen gegangen ist. Ich hätte mir gewünscht – das muss ich sagen –, dass diese biografische Vielfalt auch für die offiziellen Rednerinnen und Redner beim Festakt gegolten hätte.

Das Einheitsfest hat aber gezeigt: Wir sind als Land zusammengewachsen. Die Einheit ist nicht nur ein historisches Ereignis, sondern viel mehr: Sie hat privates Glück beschert. Sie hat Nachbarschaften und Freundeskreise bereichert. Es ist gut, sich immer wieder vor Augen zu halten, wie viel wir gemeinsam erreicht haben. 

Letzte Woche habe ich den Bericht der Ostbeauftragten vorgestellt. In diesem Jahr kamen dort auch Gastautorinnen und -autoren zu Wort, die nach 1989/90 geboren wurden. Ihre Beiträge zeigen: Junge Menschen wachsen heute ganz selbstverständlich in einem vereinten Deutschland auf. Sie wurden im selben Staat sozialisiert. Dadurch sind ihre Ansichten oft viel näher beieinander als bei den älteren Generationen. Trotzdem wachsen junge Menschen in Ostdeutschland unter besonderen Bedingungen auf. Formal haben sie alle Möglichkeiten. Doch oft fehlen ihnen die finanziellen Mittel, um diese Chancen auch zu nutzen, weil das Einkommen und die Vermögen zwischen Ost und West bis heute ungleich verteilt sind – mit Folgen für Lebenswege und Karrieren. 35 Jahre nach der Wiedervereinigung darf das nicht sein.

Deshalb ist es wichtig, dass die Debatte um gerechte Vermögensverteilung in ganz Deutschland und eine Reform der Erbschaftsteuer endlich Fahrt aufnimmt. 
In diesen Zeiten ist zudem klar: Wandel braucht Sicherheit. Wir werden die großen vor uns liegenden Herausforderungen nur bewältigen, wenn es gerecht zugeht und die Menschen mitgenommen werden. Deshalb bleibt natürlich Ziel dieser Bundesregierung, die strukturellen Unterschiede zwischen Ost und West zu überwinden und für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Die Debatte dazu muss weitergehen, auch im Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation, das sich gerade im Aufbau befindet. Dort wollen wir Menschen aus ganz Europa miteinander ins Gespräch bringen, um die Erfahrungen aus der Zeit nach 1990 zu beleuchten, um alte Fehler künftig zu vermeiden und Umbrüche besser zu gestalten, um den Menschen die Angst zu nehmen, dass sie Verlierer dieser Wandlungsprozesse sein könnten. Wenn uns das gelingt, dann können wir gemeinsam viel erreichen. Unser Land hat ja vor 35 Jahren bewiesen, dass es Wandel kann.

Vielen Dank.